Wenn das Herz will oder die Pflicht ruft: Wie Motivation bei Kindern wirklich funktioniert

Neulich beim Abendessen fragte mein älterer Sohn (9 Jahre) mit einem müden Blick über seinen Mathehausaufgaben: „Warum muss ich das überhaupt machen?“ Ein Satz, den viele Eltern kennen und der mich wieder mitten in das Thema geführt hat, das mich als Mutter und Familienberaterin immer wieder beschäftigt: Motivation. Besonders: der Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation und warum das für unsere Kinder so entscheidend ist.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Psychologisch gesehen gibt es zwei Hauptquellen für Motivation:

  • Intrinsische Motivation: Das Kind handelt aus eigenem Antrieb, weil es etwas spannend, sinnvoll oder erfüllend findet.

  • Extrinsische Motivation: Das Kind handelt, um eine Belohnung zu erhalten oder eine Strafe zu vermeiden. Der Antrieb kommt von außen.

Der US-amerikanische Psychologe Edward Deci, Mitbegründer der Selbstbestimmungstheorie, fand bereits in den 1970ern heraus: Wenn man für etwas belohnt wird, das man eigentlich gerne macht, sinkt oft die innere Motivation. Dieser sogenannte „Overjustification Effect“ wurde in vielen Studien bestätigt: Lob, Punkte oder kleine Geschenke können die ursprüngliche Begeisterung regelrecht verdrängen. Das bedeutet nicht, dass Lob oder Struktur schlecht sind, aber: Wie wir motivieren, macht einen riesigen Unterschied.

Zwei Brüder – zwei Motivationen

Ich beobachte das bei meinen eigenen Kindern fast täglich:

Mein Jüngster (4) hilft gern in der Küche, aber nur, wenn es für ihn ein echtes „Mitmachen“ ist. Wenn ich ihn einfach „bitte“, den Tisch zu decken, winkt er oft ab. Wenn er aber der "Chef der Löffel" ist und Verantwortung bekommt, ist er mit Feuereifer dabei.
Hier wirkt Selbstbestimmung; ein zentraler Baustein für intrinsische Motivation, wie Deci & Ryan beschreiben.

Mein Ältester (9) war beim Lesen anfangs eher zurückhaltend, bis er Bücher zu seinen Interessen (Harry Potter, Gregs Tagebuch) entdeckt hat. Plötzlich las er von sich aus, ohne Aufforderung.
Interesse, Kompetenzgefühl und persönliche Relevanz; auch das sind laut Forschung zentrale Auslöser intrinsischer Motivation.

Was brauchen Kinder, um sich selbst motivieren zu können?

Die moderne Motivationsforschung – insbesondere die Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 1985) – zeigt: Kinder (und Erwachsene) sind dann am ehesten von innen heraus motiviert, wenn drei psychologische Grundbedürfnisse erfüllt sind:

  1. Autonomie: das Gefühl, selbst entscheiden zu dürfen

  2. Kompetenz: das Gefühl, etwas bewirken zu können

  3. soziale Eingebundenheit: das Gefühl, verbunden zu sein

Diese drei Faktoren bilden das Fundament für nachhaltige Motivation; egal ob beim Lernen, Spielen oder im sozialen Miteinander.

Was bedeutet das für unseren Familienalltag?

Hier einige alltagstaugliche Wege, wie du diese drei Bedürfnisse gezielt fördern kannst, ganz ohne Belohnungssysteme:

1. Wahlmöglichkeiten geben (Autonomie fördern)

Kinder brauchen das Gefühl, mitentscheiden zu dürfen und zwar auch bei kleinen Dingen:

„Möchtest du erst Hausaufgaben machen oder erst was trinken und dann starten?“
„Magst du lieber das Besteck einräumen oder die Socken zusammenlegen?“

2. Erfolgserlebnisse ermöglichen (Kompetenz stärken)

Nicht die Aufgabe muss kleiner sein – sondern die Erfolgsschwelle realistischer:

  • Aufgaben in kleine Schritte teilen

  • Fortschritt sichtbar machen

  • Lernfortschritte loben – nicht nur Ergebnisse

Statt: „Toll, dass du eine 6 hast!“ → lieber: „Du hast dich richtig durchgebissen. Das hat sich gelohnt!“

3. Gemeinschaft erleben lassen (soziale Verbundenheit)

Kinder lernen nicht in Isolation, sondern in Beziehung. Oft hilft die Frage: „Wie können wir das gemeinsam machen?“

  • Wenn Aufräumen ein Gemeinschaftsprojekt ist (mit Musik oder einer kleinen Geschichte dazu), wird es leichter.

  • Wenn Vorlesen bedeutet: „Wir tauchen zusammen in diese Welt ein“, wird Lesen kein Muss mehr, sondern gemeinsame Zeit.

Aber was, wenn trotzdem der Antrieb fehlt?

Ja, es gibt Tage, da hilft keine Erklärung, kein Spiel und keine „Du-darfst-auswählen“-Option. Dann dürfen wir uns daran erinnern: Kinder sind keine Maschinen. Ihre Motivation ist ein zartes Pflänzchen und wächst nicht auf Knopfdruck. Dies ist bei uns Erwachsenen doch nicht anders, oder? Manchmal hilft es, einfach präsent zu sein, ohne zu drängen. Oder einen Schritt zurückzugehen. Die Verbindung zu uns ist oft der stärkste Motor.

Kinder stark machen und nicht steuern

Motivation ist kein Trick. Kein Knopf, den man drücken kann. Sie entsteht dort, wo Kinder sich gesehen, verstanden und ernst genommen fühlen. Die Forschung ist sich einig: Kinder lernen, handeln und wachsen am nachhaltigsten, wenn sie aus sich selbst heraus motiviert sind. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, den Raum dafür zu schaffen: mit Vertrauen, Klarheit, echtem Interesse und einer guten Portion Geduld. Und wer weiß: Vielleicht entdecken wir dabei auch wieder ein Stück unserer eigenen inneren Motivation.

Herzlichst

Michelle

Ohana Beratung

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