Leistung ≠ Liebe: Warum Pushen von Kindern für ein gesundes Selbstwertgefühl heikel sein kann
Selbstwertgefühl versus Selbstvertrauen: Warum der Unterschied so wichtig ist
In meiner Arbeit mit Familien, Paaren und Einzelpersonen begegnet mir immer wieder ein zentrales Thema: Wie wir über uns selbst denken und fühlen. Dabei tauchen zwei Begriffe besonders häufig auf: Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Viele verwenden sie synonym, doch sie meinen etwas grundlegend Verschiedenes. Wer den Unterschied versteht, kann gezielter an seinem inneren Wohlbefinden arbeiten und in Beziehungen mehr Sicherheit und Verbindung erleben.
Was ist Selbstvertrauen?
Selbstvertrauen meint das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Es beschreibt, wie sehr wir davon überzeugt sind, etwas bewältigen zu können.
Psychologisch gesehen ist es Teil des sogenannten Selbstkonzepts, also des Bildes, das wir von uns selbst haben (vgl. Fend, 2003).
„Ich glaube, dass ich das kann“ – so könnte man Selbstvertrauen in einem Satz zusammenfassen.
Dieses Vertrauen entsteht durch Erfahrung: Wenn wir Herausforderungen meistern, wächst es. Deshalb kann Selbstvertrauen relativ leicht gefördert werden z. B. durch Erfolge im Beruf, im Sport oder durch soziale Bestätigung. Um dieses mache ich mir in unserer leistungsorientierten Gesellschaft keine Sorgen.
Was ist Selbstwertgefühl?
Selbstwertgefühl geht tiefer. Es ist die emotionale Bewertung, die wir uns selbst geben. Es beantwortet die Frage:
„Bin ich als Mensch wertvoll? Unabhängig davon, was ich kann oder leiste?“
In der Psychologie spricht man hier vom Selbstwert als Teil der Persönlichkeit. Carl Rogers, einer der einflussreichsten Psychologen des 20. Jahrhunderts, betonte:
„Das Bedürfnis nach positiver Selbstachtung ist eine der stärksten Triebfedern der menschlichen Entwicklung.“ (Rogers, 1959)
Ein gesunder Selbstwert bedeutet, sich selbst mit Mitgefühl und Annahme zu begegnen und zwar auch in schwierigen Momenten.
Der Unterschied macht den Unterschied
Während Selbstvertrauen oft auf bestimmte Fähigkeiten und Situationen bezogen ist, beschreibt Selbstwert ein grundlegendes Gefühl von innerem Wert. Psychologe Nathaniel Branden bringt es auf den Punkt:
„Selbstvertrauen sagt: Ich kann handeln. Selbstwertgefühl sagt: Ich darf sein.“
Das bedeutet: Selbstvertrauen kann stark ausgeprägt sein und trotzdem kann jemand im Innersten an seinem Wert zweifeln. Besonders dann, wenn das eigene Selbstbild stark an Leistung geknüpft ist.
Leistung ≠ Liebe: Warum Pushen heikel ist
Gerade in der Erziehung gut gemeinter Eltern kann sich hier eine Stolperfalle auftun: Wenn Kinder hauptsächlich Lob und Zuwendung für Leistung erhalten z. B. für gute Noten, sportlichen Erfolg oder „braves“ Verhalten, lernen sie schnell:
„Ich bin dann etwas wert, wenn ich funktioniere.“
Das kann kurzfristig das Selbstvertrauen stärken, aber das Selbstwertgefühl leidet, wenn Kinder das Gefühl entwickeln, dass Zuneigung an Bedingungen geknüpft ist.
Langfristig entstehen so oft Glaubenssätze wie:
„Ich darf keine Fehler machen.“
„Ich muss immer stark sein.“
„Ich bin nur dann liebenswert, wenn ich etwas leiste.“
Kinder brauchen stattdessen die Erfahrung, dass sie auch in Schwächen, Wut, Traurigkeit und Versagen geliebt und angenommen sind. Nur so kann ein stabiler innerer Wert wachsen, der unabhängig ist von äußeren Erfolgen. Die Entwicklungspsychologie bestätigt das: Sichere Bindung (vgl. Bowlby, 1969) und elterliche Feinfühligkeit (Ainsworth, 1978) sind zentrale Bausteine für eine gesunde Selbstwertentwicklung. Es geht also weniger um perfekte Förderung, sondern um echte Verbindung.
Wie kann Selbstwert im Alltag gestärkt werden?
Ob Kind oder Erwachsener; unser Selbstwertgefühl darf wachsen. Ein paar Ideen:
Emotionale Rückmeldungen ohne Leistungsbezug geben („Ich freue mich, dich zu sehen.“, statt: „Toll, dass du so gut warst heute!“).
Fehler als Lernmomente sehen und nicht als Makel.
Sich selbst mit Mitgefühl begegnen, auch bei Rückschlägen.
Grenzen setzen lernen und das Recht, eigene Bedürfnisse ernst zu nehmen.
Was bedeutet das für Beziehungen?
Ein unsicheres Selbstwertgefühl wirkt sich oft direkt auf unsere Beziehungen aus. Wer innerlich an sich zweifelt, sucht häufig (unbewusst) Bestätigung im Außen. Oder reagiert empfindlich auf Kritik und Ablehnung. Konflikte drehen sich nicht nur um das, was gesagt wurde, sondern um das, was es im Inneren berührt. Ein Mensch mit stabilem Selbstwert kann eigene Bedürfnisse äußern, ohne sich dafür zu schämen und gleichzeitig empathisch auf andere eingehen. Genau diese Balance stärkt Beziehungen.
Vielleicht magst du dich heute einmal fragen:
Vertraue ich meinen Fähigkeiten und weiß ich auch um meinen Wert, selbst wenn ich scheitere?
Und: Was vermittle ich meinen Kindern: Liebe oder Leistungsdruck?
Wenn du spürst, dass dich diese Fragen in deiner Familie, Partnerschaft oder persönlich bewegen, begleite ich dich gerne ein Stück auf diesem Weg.
Herzlichst,
Michelle
Ohana Beratung