Wenn die Elternrolle zur Belastung für die Partnerschaft wird

Über Nähe, Enge und das Bedürfnis nach Freiraum

Die Geburt eines Kindes verändert nicht nur den Alltag, sondern auch die Dynamik zwischen den Eltern. Was früher eine Beziehung zwischen zwei Erwachsenen war, wird nun von der Verantwortung für ein oder mehrere Kinder bestimmt. Häufig entsteht in dieser Phase das Gefühl, keine Luft mehr zum Atmen zu haben. Nähe und Zusammenhalt sind zwar entscheidend, können jedoch auch zur Quelle von Konflikten werden.

Psychologische Hintergründe

Mit dem Übergang in die Elternschaft verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Nähe und Autonomie. Während der Alltag von Routinen, Verantwortung und ständiger Verfügbarkeit geprägt ist, erleben viele Eltern einen massiven Rückgang persönlicher Freiräume. Bindungstheoretisch lässt sich dies so erklären: Die ohnehin hohe Anforderung an gegenseitige Verlässlichkeit verstärkt die Erwartung nach Nähe. Wenn einer der Partner jedoch mehr Distanz benötigt, um die eigene Identität zu bewahren, kollidieren diese Bedürfnisse unmittelbar.

Der „Pursuer-Distancer-Zyklus“ (Verfolger-Rückzugs-Dynamik) zeigt sich hier oft besonders deutlich. Ein Partner sucht mehr gemeinsame Momente inmitten der Elternpflichten, der andere versucht Freiräume zu schaffen. Die Folge sind Missverständnisse, die beide als mangelnde Wertschätzung empfinden.

Typische Beispiele aus der Praxis

  • Nach der Geburt des ersten Kindes wünscht sich die Mutter mehr Unterstützung und gemeinsame Familienzeit. Der Vater fühlt sich jedoch durch die neue Verantwortung stark belastet und sucht Ausgleich in Sport oder längeren Arbeitszeiten. Sie erlebt sein Verhalten als Rückzug aus der Beziehung, während er es als Selbstschutz versteht.

  • Ein Paar mit zwei Grundschulkindern berichtet, dass der Mann den Wunsch nach Paarzeit äußert. Die Frau reagiert darauf mit Ablehnung, da sie nach einem anstrengenden Tag mit Beruf und Kindern vor allem Ruhe benötigt. Er erlebt dies als Zurückweisung, während sie schlicht ihre Erschöpfung regulieren möchte.

Solche Szenarien sind weit verbreitet und zeigen, dass Eltern häufig nicht über die eigentlichen Bedürfnisse sprechen, sondern nur über die sichtbaren Handlungen des anderen.

Handlungsmöglichkeiten für Eltern

  1. Zeit bewusst strukturieren: Eltern profitieren von klaren Absprachen. Beispielsweise kann ein Abend pro Woche verbindlich als Paarzeit eingeplant werden, während an einem anderen Tag jeder seinen individuellen Freiraum gestaltet.

  2. Bedürfnisse sprachlich entlasten: Anstatt Forderungen zu formulieren („Du bist nie da“), wirkt es hilfreicher, persönliche Empfindungen mitzuteilen („Ich fühle mich allein, wenn wir keine Zeit gemeinsam haben“). Diese Formulierung reduziert Schuldzuweisungen.

  3. Unterstützungsnetzwerke nutzen: Großeltern, Freunde oder Babysitter können gezielt Freiräume schaffen, die sowohl Paarzeit als auch individuelle Zeit ermöglichen.

  4. Selbstfürsorge ernst nehmen: Eltern sollten akzeptieren, dass das Bedürfnis nach Rückzug nichts mit mangelnder Liebe zu tun hat, sondern Ausdruck von Selbstregulation ist. Eine Stunde für Sport oder Lesen kann langfristig mehr Beziehungsqualität ermöglichen als ständige Verfügbarkeit.

  5. Therapeutische Begleitung erwägen: Wenn die Konflikte sich verfestigen, ist eine professionelle Paar- oder Familientherapie sinnvoll. Dort können Eltern lernen, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse nicht als Gegensätze, sondern als Ergänzung zu verstehen.

Fazit

Engegefühle in der Elternschaft sind keine Seltenheit. Sie sind Ausdruck der enormen Belastungen, die mit der Verantwortung für Kinder einhergehen. Entscheidend ist, dass Eltern lernen, Nähe- und Distanzbedürfnisse klar zu kommunizieren und bewusst Strukturen zu schaffen, die sowohl den Kindern Sicherheit als auch den Erwachsenen Freiräume geben. Nur so kann die Partnerschaft eine stabile Basis bleiben, auf der die Familie langfristig gedeihen kann.

Herzlichst,

Michelle

Ohana Beratung

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